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  • AutorenbildWalter Gasperi

L´incroyable histoire du facteur Cheval – Der Palast des Postboten


In jahrzehntelanger Arbeit baute der Postbote Joseph Ferdinand Cheval um 1900 in seinem im Südosten Frankreichs gelegenen Heimatdorf in Handarbeit einen Palast, der heute eine Touristenattraktion ist. In prächtigen Bildern und mit einem großartigen Jacques Gamblin in der Hauptrolle erzählt Nils Tavernier nicht nur von der Entstehung dieses Bauwerks, sondern auch bewegend die Familiengeschichte des im Dorf als verrückt geltenden Cheval.


32 Kilometer legt Joseph Ferdinand Cheval (Jacques Gamblin) täglich zu Fuß zurück, um die Post auszutragen. In großartigen Totalen feiert die Kamera von Vincent Gallot schon am Beginn die ebenso malerische wie ursprüngliche Landschaft der nahe der Rhone gelegenen Heimat Chevals.


Abrupt setzt die Handlung im Jahr 1873 mit dem Tod von Chevals Frau ein. Als sozial schwierig erscheint der Postbote von Beginn an, wenn er am Begräbnis nicht teilnehmen will, doch der Blick des Regisseurs evoziert tiefes Mitgefühl mit dem Mann, den im Dorf alle für verrückt halten. Nicht als Rabenvater erscheint er, als er nicht widerspricht, als ihm sein Sohn entzogen und einem Verwandten übergeben wird, sondern als tragische Figur, die mit Menschen nicht umgehen kann.


Seine weiten Wege durch die unberührte Natur scheinen so auch eine Flucht vor den Menschen zu sein, dennoch begegnet dieser Träumer dabei auch der Witwe Philomène (Laetitia Casta), die er wenig später heiratet. Spätestens wenn Tochter Alice geboren wird, wird deutlich, wie verwundet oder psychisch schwierig dieser Mann ist, der von seiner Frau im Grunde gezwungen werden muss diese Tochter anzunehmen und sich um sie zu kümmern.


Dann aber wird er das mit ganzer Liebe und Hingabe tun und wird, als er auf einer seiner Postboten-Touren über einen seltsam geformten Stein stolpert, beginnen für diese Alice einen Palast zu bauen, durch den er durch Zeitungsberichte und Postkarten über die Tempel der Mayas und die Entdeckung von Angkor Vat angeregt wird.


Über 33 Jahre wird sich die Arbeit hinziehen, zehn Stunden wird er am Tag die Post austragen und sich danach seinem Bau widmen, den er mit besonders geformten Steinen errichtet, die er bei seiner Arbeit als Postbote findet und in seiner Posttasche oder mit einem Schubkarren herbeikarrt. Keine Vorkenntnisse als Maurer hat er, erklärt seiner Frau, dass er als ehemaliger Bäckerlehrling Brot backen und folglich auch Sand und Wasser mischen könne.


Geschockt entdeckt Philomène zwar, dass er für seinen Bau ihren Gemüsegarten zerstört hat, wird aber doch unverbrüchlich zu ihrem Mann halten. Und während die Dorfbewohner nur mit Kopfschütteln auf Cheval blicken, stellen sich mit der Zeit auch Journalisten und Kunstinteressierte ein und der Palast, der unterschiedlichste Stilrichtungen vereint, entwickelt sich zur Touristenattraktion. Cheval aber baute, weil er seinen Palast nicht als Grabmal verwenden durfte, nach Abschluss der Arbeit von 1914 bis 1922 auf dem Friedhof von Hauterives im gleichen Stil noch ein kleines Grabmal.


Nils Tavernier fokussiert in seinem rund 50 Jahre umspannenden Film, in den Zeitumstände wie die Dreyfus-Affäre oder der Erste Weltkrieg nur ganz am Rande einfließen, ganz auf der Familie Cheval und dem Bau des Palasts. Er setzt diesem eigenwilligen Postboten ein großes und bewegendes Denkmal und feiert sein bedingungsloses Festhalten an einem Traum. Lange als Skurrilität belächelt, begannen die Surrealisten Chevals Werke zu schätzen, doch erst 1969 wurde der Palast und das Grabmal vom französischen Kulturminister André Malraux als „einzige naive Architektur der Welt“ unter Denkmalschutz gestellt.


Leidenschaftlich feiert Tavernier dieses Kunstwerk im Finale, wenn die Kamera es abfährt und sich schließlich in die Vogelperspektive erhebt und gleichzeitig die Musik anschwillt. Aber mehr noch als den Bau feiert der Film freilich den ausgegrenzten Cheval. Großartig spielt Jacques Gamblin diesen Postboten als einen Mann, der nicht in der Lage ist seine Gefühle zu zeigen, im Innersten aber doch intensiv fühlt.


Keine Träne mag ihm da beim Begräbnis seiner Frau kommen, aber sein ganzer Schmerz wird spürbar, als er sich nach dem Tod seiner Tochter verzweifelt in einen Fluss stürzt. Wenig scheint er für die von Laetitia Casta gespielte Frau, die sich ganz für ihn aufgibt, zu empfinden, doch spürbar wird bei einem letzten Gespräch, wie dankbar er ihr ist und wie innig er sie liebt.


So erzählt Tavernier in dem stimmig ausgestatteten Film auch bewegend eine Familiengeschichte und bietet in den weiten Wegen Chevals, der in 30 Dienstjahren zu Fuß fünfmal die Erde umrundete, ohne je seine Region verlassen zu haben, durch die prächtige Landschaft und die sich ändernden Jahreszeiten auch einen visuellen Genuss.


Das Kino revolutioniert der 55-jährige Franzose mit diesem märchenhaften Film nach einer wahren Geschichte sicherlich nicht, bietet aber klassisches bewegendes und bildstarkes Erzählkino und dürfte auch die Attraktivität des Palais idéal, der derzeit jährlich rund 150.000 Besucher anlockt, noch erhöhen.


Läuft derzeit im St. Galler Kinok - ab Mitte Dezember in den österreichischen und deutschen Kinos


Trailer zu "L´incroyable histoire du facteur Cheval – Der Palast des Postboten"



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